Knocking on heaven's door


 

Im Frühjahr 2024 hatten wir die Ehre, die Ausstellung des in Berlin lebenden Künstlerduos Kg Augenstern, Christiane Prehn und Wolfgang Meyer, zu zeigen.

 

Das im BOCS in Catania, Italien, ausgestellte Projekt war eine weitere erfolgreiche Zusammenarbeit mit N38E13 aus Palermo, welches in den letzten Jahren im Austausch mit BOCS, dem sizilianischen Kunstprojektraum mit Sitz in Catania stand.

 

Die von N38E13 kuratierte Ausstellung KNOCKING ON HEAVEN'S DOOR präsentierte die Ergebnisse einer Forschungsarbeit in Form einer audiovisuellen Installation.

 

In der Zeit vor der Ausstellung verbrachten die deutschen Künstler einen zweimonatigen Arbeitsaufenthalt auf der Insel Pantelleria mit der Absicht, die vielfältigen Energien der elektromagnetische Felder des vulkanische Gebietes der Insel zu erforschen.

 

Während ihres Aufenthalts auf Pantelleria führte KG Augenstern eine intensive Studie durch, die sich auf die magnetische Kraft der Erde und ihre Einflüsse konzentrierte. Für diese Studie wurde von einem Techniker ein hochempfindliches Messgerät extra dafür entwickelt um Kg Augenstern zu ermöglichen, elektromagnetische Strahlung zu messen und die Auswirkungen von Kunst und rituellen Praktiken zu auf diese Strahlung zu untersuchen.

 

Menschen haben schon immer die kraftvollen Energien von "Mutter Natur" wahrgenommen, unabhängig davon, ob sie geologischen oder anderen Ursprungs sind. In der Tat stellen Themen wie Leben und Tod die Harmonie wieder her, indem sie einen wahrhaftigen Dialog zwischen Mensch und Natur ermöglichen.

 

Die Ausstellung im BOCS in Catania, Italien, war eine großartige Gelegenheit, dieses Forschungsprojekt durch Video- und Audioinstallationen, Skulpturen und Mineralienspuren zu erleben, eine komplexe Forschung voller Ideen, die den Besuchern und den Künstlern die Möglichkeit gab, über ihre spirituellen Ideen nachzudenken und sie zu überdenken.

 

 

 

Giuseppe Lana

 

künstlerischer Leiter BOCS

 

- Box OF Contemporary Space

 

die Forschung

 

Kg Augenstern erkundet das Territorium der Insel ohne erzählerische Vorgabe. Sie verbinden das Sichtbare und das Unsichtbare und messen die Strahlung und die elektromagnetische Verzerrung von Orten. Hierbei handelt es sich um eine empfindliche Messung, die darauf abzielt, subtile Naturkräfte in elektromagnetischen Feldern zu erfassen. Ritual und Kunst werden in diesen Prozess als extreme Möglichkeiten des Seins involviert, welche in der Lage sind, die unsichtbaren, vom Licht verdeckten Kräfte zu offenbaren und zu beeinflussen. Sichtbares Licht ist nur eine Erscheinungsform des elektromagnetischen Spektrums. Ein Magnet besteht notwendigerweise aus einem Nordpol und einem Südpol, zwei entgegengesetzten Ladungen. Selbst wenn wir den Magneten zerbrechen, bleiben die beiden entgegengesetzten Ladungen in jedem einzelnen Teil erhalten. Wir leben in einem Magnetfeld, und alles ist elektromagnetisch. Wir bestehen aus Teilchen, die durch elektrische Kräfte zusammengehalten werden. Bewegte elektrische Ladungen, die magnetische Effekte erzeugen. Das Ergebnis ist der Elektromagnetismus aller existierenden Materie, ob sichtbar oder nicht. Energie kann weder erschaffen noch zerstört werden. Sie kann nur in andere Formen von Energie umgewandelt werden. Und es ist nur möglich, eine positive elektrische Ladung zu erzeugen, indem wir eine negative elektrische Ladung erzeugen und umgekehrt. Es ist nicht möglich, das Magnetfeld zu unterbrechen. Aber eine Umkehrung der magnetischen Polung ist möglich, wie sie vor Tausenden von Jahren auf der Erde geschah und wie sie voraussichtlich auch in Zukunft eintreten wird, und es war exakt ein Stein vulkanischen Ursprungs, der die Polaritätsumkehr der Vergangenheit offenbarte, die während der Erstarrung des Magmas eingraviert und gespeichert wurde.

 

 

 

 

 

Ennio Pellicanò - N38E13

 

Die Ausstellung

 

Die Installation „Knocking on heaven’s door“ offenbart, beobachtet durch das Schlüsselloch einer Tür, eine andere Welt, die den Übergang zwischen Leben und Tod markiert. Ohne den Schlüssel können wir nur spähen und klopfen und die Zeichen unserer Intuitionen eingravieren. Wir betreten eine schemenhafte Vision, eine visuelle Verzerrung der Begegnung zwischen Dunkelheit und Licht. Eine Kontingenz zweier Gegensätze im Halbschatten der kontinuierlichen Koexistenz von Leben und Tod.

 

Die Ausstellung im BOCS ist eine vielstimmige Installation. Eine einzelne Erzählung, die sich durch eine Reihe von Werken ausdrückt.

 

Wenn man die Schwelle von BOCS überschreitet, findet man sich gefangen in einem Traum, der zwischen Leben und Tod schwebt. Ein Zwischenraum, ein Riss in der zeitlichen Gleichzeitigkeit dieser beiden extremen Zustände des Menschen. In einem Symbol, das mehrmals beim Anklopfen in die Himmelstür geätzt wurde, zufällig oder hellsichtig, überschreitet ein positives Zeichen die Grenzen des Kreises. Eine Lücke in der Zeit setzt unsere Ängste außer Kraft.

 

Wir betreten die Ausstellung mit auf den Horizont gerichteten Blick und laufen fast Gefahr, über die Steine des Schwarzen Diamanten (Black Diamond) zu stolpern, der das Gewicht unserer Gewissheiten zeigt. Neun Steine sind auf dem Boden platziert, entsprechend den erforschten Orten und ihren gegenseitigen Entfernungen. Sie sind durch Kalkspuren miteinander verbunden und lassen eine Struktur erkennen. Sie sind die stabilen Fakten einer unsicheren Erzählung. Die Komposition entspricht einer geomantischen Kartierung, einer Orakelkunst, die Punkte ohne Ordnung miteinander verbindet. Eine Gravitationskonstellation bringt Gewicht und Masse in eine elektromagnetischen Spannung, die visuell durch weiße Konvergenzlinien nachgezeichnet wird und zu unvorhersehbaren Geometrien und Symbolen führt.

 

Steine sind Materie, geformt von den Kräften der Natur, unglaubliche Skulpturen, deren Urheber in der Ganzheit verborgen bleibt.

 

Die Steine hier enthalten Obsidian, vulkanisches Glas, das beim sehr schnellen Abkühlen der Lava entstanden ist. Obsidian war bei den Völkern der Vergangenheit lange Zeit ein begehrtes Material für die Herstellung von Werkzeugen, Waffen und Schmuck, so dass er auch als "schwarzer Diamant" bezeichnet werden kann. Sein glasartiger Anteil macht ihn besonders scharf und reflektierend. Er wird auch "schwarzer Spiegel" genannt und konserviert in seiner Erstarrung den Magnetismus der Vergangenheit und den aktuellen Magnetismus der Sedimente.

 

Die Eremitenhöhle (The hermit's cave), eine einst von byzantinischen Mönchen genutzte Höhle, wird in einer BOCS-Nische nachgebildet. Ein Ort, den Kg Augenstern in den Klüften der Berge von Pantelleria entdeckt hat. Er vereint Geist, Körper und Ritual und drückt seine maximale sublimierende Kraft in dem skulpturalen Werk Sceccu aus. Am Eingang trennt eine antike Tür aus Pantelleria ohne zu teilen und verkündet dahinter eine einzige Wahrheit.

 

Ein Altar zeigt Sceccu, einen Eselskopf, der mit schwarzen Diamanten und Obsidiansteinen bedeckt ist. Eine Reihe schwarzer Spiegel, die mit Magnetismus aufgeladen sind, heilen den Eselsschädel, wie Magma, das zu Stein wird. Eine Aufladung und Kraft, visuell und ästhetisch, die eine extreme Möglichkeit in Ritual und Kunst offenbart. Wir befinden uns in einer Kontinuität von Leben und Tod, das eine spiegelt sich im anderen. Das Leben wird in einem schwarzen Spiegel reflektiert, während der Tod es beobachtet.

 

Der anfängliche Blick auf den Boden, auf die Erde, wirkt wie ein Gegengewicht zum Blick in den Himmel, der in den Wolken versinkt, die unsere fließenden Illusionen enthalten.

 

Die Arbeit 'Im siebten Himmel' (Cloud 9) stellt eine Abweichung vom Gravitationsfeld des Schwarzen Diamanten dar. Die Steine sind jetzt Wolken. Leichter als die Luft, die sie umgibt, schweben sie über dem elektromagnetischen Feld. Sie entstehen durch die Verdunstung von Wassermolekülen an der Erdoberfläche und kondensieren zu positiven und negativen elektrischen Ladungen. Auf  Transparentpapier sind nach dem Zufallsprinzip Tropfen von Passito (ein außergewöhnlicher Wein der Insel) verteilt. Es gibt neun Wolken, entsprechend den erforschten Orten und ihrer unterschiedlichen elektromagnetischen Strahlung und Verzerrung. Das malerische Ergebnis auf ihnen offenbart zwischen dem Kräuseln des Papiers und den Variationen in Tiefe und Farbe die Transformation des Materials von flüssig zu fest. Es verkündet, wie in einem Bild aus einer Reihe, den elektrischen Tanz der Moleküle. Die Wolken hängen an den dünnen und empfindlichen Spitzen von Tentakeln, teleskopische Glasfaserruten, welche schon seit Jahren die Forschung von Kg Augenstern begleiten und die eine langsame und kontinuierliche, manchmal nicht wahrnehmbare Bewegung erzeugen. Cloud 9 verbindet elektromagnetische Felder miteinander und erzeugt bei jeder subtilen Bewegung unmerkliche Klangkreise.

 

Die Daten in den Beschreibungen der Orte zeigen die Intensität der elektromagnetischen Strahlung und ihre Verzerrung sowie die Auswirkungen, die meditative und rituelle Praktiken darauf haben.

 

In der Tiefe des Raumes, aufrecht an einer Wand, werden die Skizzen der Himmelstüren (Heaven's doors - sketch), die Negativformen von vier offenen byzantinischen Steingräbern präsentiert. Sie sind eine Form der Dunkelheit, schwarz, als ob sie aus dem Inneren jener Leere betrachtet würden, in der magnetische Kräfte zu schweben scheinen, die auf eine Umkehr der Polarität warten. Spektren, die vom Halbdunkel in die Dunkelheit führen, wo ein neues Licht des elektromagnetischen Spektrums zum Vorschein kommt.

 

Hinter der Mauer: Die Himmelstüren (Heaven's doors). Kg Augenstern hat vier antike Türen verwendet, um die byzantinischen Gräber abzudecken, die in der Vergangenheit ihrer Deckel beraubt wurden. Sie sind die Möglichkeit das Sein für die beiden Welten einer einzigen Realität zu öffnen. Es sind Zeichen eingraviert, die in der Dunkelheit wahrgenommen werden, eine Kombination von Zeichen, die auf der Suche nach dem ungeschaffenen Licht an jede Tür klopfen.

 

Jenseits der Mauer, in den Friedhofsklängen (Gravefield sounds), wird das elektromagnetische Feld der byzantinischen Gräber in Klang übersetzt. Klang ist eine Schwingung, eine weitere Bewegung im Raum. Er ist eine Welle, viel langsamer als Licht, die die Bewegung durch Nachhall auf benachbarte Teilchen überträgt, die wiederum schwingen und die Bewegung auf weitere Teilchen übertragen. Der Klang erinnert an das Ritual des Tanzes.

 

Der Blick wendet sich erneut dem Himmel zu, wo in Magnetic winds eine sensorische Skulptur in Echtzeit das Magnetfeld im Raum und seine durch vorbeigehende Personen verursachten Veränderungen erfasst. Die Form der Skulptur erinnert an das immer wieder eingravierte Zeichen: ein Kreuz in einer kreisförmigen Leere. Das Magnetfeld wird als Projektion auf eine fünfte Tür visualisiert.  Ein elektromagnetisches Feld offenbart in seiner Projektion die Menge der miteinander verbundenen Teilchen. Ein magnetischer Wind erzeugt elektrische Ströme. Ein Tanz, jenseits der Mauer, jenseits des Todes. Im hintersten Teil des Raums zeigt sich so die Präsenz eines fünften Elements, dem Tor zum Himmel, der Substanz der "Anima Mundi", der Lebenskraft, die das Gedächtnis der Formen bewahrt, das formlose Licht. Das Licht, dessen Suche die vier byzantinischen Mönche ihr ganzes Leben gewidmet haben. Ungreifbar und unsichtbar taucht es in der Dunkelheit aus dem Unmanifesten auf und durchdringt doch alles als die vollkommene Quelle der Elemente Erde, Luft, Wasser und Feuer. Als unveränderbares Element richtet es die Erzählung in eine imaginativen Intuition; das "hinter dem Vorhang"; das "jenseits der Szene".

 

 

 

Man könnte auch in umgekehrter Richtung vorgehen und Anfang und Ende der Ausstellung vertauschen, ohne die imaginative Erzählung, die den Raum durchdringt, zu beeinträchtigen.

 

 

 

Die Installation von Kg Augenstern drückt sich in einer alchemistischen Polyphonie von materiellen und immateriellen Elementen aus, in der die Möglichkeit mitschwingt und nachhallt, einen Schwebezustand zu erzeugen, einen Versuch, den Sinn einer einmaligen Existenz jenseits des Lebens, jenseits des Todes zu erfassen; jenseits jener Leere der Schöpfung, die auf dem Sein lastet, jenseits der Sinnlosigkeit, von der wir durchdrungen sind.

 

 

 

Der Tod überragt das Sein in seiner ontologischen Totalität, der Tod ist metaphysisch. Als extreme Möglichkeit des Menschen offenbart sich der Tod in einem Zustand der Angst, in einem Zwielicht entleert von Furcht, als ursprüngliches Verständnis, als Öffnung einer dem wahren Sein immanenten Intuition. Die Vollständigkeit unseres Wesens wird transparent durch die Gewissheit des ständig drohenden Endes, aufgelöst in der extremen Möglichkeit, dass der Tod an die Himmelstür klopft.

 

 

 

Ennio Pellicanò – N38E13

 

 

Fotos: Kg Augenstern

 

Fotos der ausgestellten Arbeiten: Antonio Vasquez

 

 

 

 

 

Danke an

 

Gunther Dudda, Thomas Kern, Siegfried Buck

 

und Gert Prehn

 

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